Denkmalschutz und Denkmalpflege in Deutschland
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Denkmalpflege in Deutschland. Eine Einführung Empfehlung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz,
« Bürgernahe Denkmalpflege », Wiesbaden, 26.11.2000,
in « Denkmalschutz Informationen » DNK, Bonn, 4/2000. www.nationalkomitee.de |
1.2 Kulturelles Erbe als Beitrag zu nachhaltiger
Entwicklung
Im Zuge des Wiederaufbaus, der wirtschaftlichen Expansion und des Straßenbaus
wurde in der Nachkriegszeit bis in die Siebzigerjahre hinein mancherorts
mehr historische Substanz und damit auch Bau- und Bodendenkmale vernichtet
als durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Ein Wertewandel
trat ein, als Wachstums- und Fortschrittsgläubigkeit kritisiert und
zunehmend in Frage gestellt wurden. Der Denkmalschutz ist häufig
der Anlass gewesen, die Stadterneuerungs- und Landesentwicklungspolitik
insgesamt zu überdenken und den Weg einer erhaltenden Stadterneuerung
und verantwortungsvollen Fortentwicklung der historischen Kulturlandschaft
einzuschlagen. Das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 markiert diesen
Wendepunkt.
Denkmalschutz und Denkmalpflege galten fortan nicht mehr als Hemmnis,
sondern als Motor für Stadtentwicklung, standortbedingte Attraktivität
und landschaftsspezifische Unverwechselbarkeit. Neue Gesetze, administrative
Maßnahmen, staatliche Förderprogramme und nicht zuletzt Steuervergünstigungen
haben bundesweit dazu beigetragen, Denkmalschutz und Denkmalpflege nachhaltig
zu fördern und ihren Stellenwert sichtbar zu machen.
Die Achtzigerjahre sind die Reife- und Blütezeit dieser Entwicklung,
im bundesdeutschen Nachkriegsstädtebau gelten sie als die Periode
der erhaltenden Stadterneuerung, in der Landesentwicklung als Zeit der
identitätsstiftenden Akzentuierungen. Die historischen Stadtgrundrisse
bewahren, alte Bausubstanz behutsam erneuern, prägende Bodendenkmäler
integrieren, die Wachstumspotenziale nutzen, um der alten Bausubstanz
neues Leben zu geben, das sind die Fundamente dieser bewahrenden Politik.
In den Neunzigerjahren wurde dieser Weg fortgesetzt und mit sichtbarem
Erfolg auch in den neuen Bundesländern beschritten. Dort waren die
historischen städtebaulichen Strukturen in großen Teilen erhalten
geblieben, der Zustand der Bausubstanz war jedoch aufgrund der verfehlten
DDR-Baupolitik überwiegend katastrophal.
Städte, Dörfer und Landschaften in den neuen Ländern haben
von den Erfahrungen der alten Bundesrepublik vielfach profitiert. Die
Fehler der westdeutschen Wiederaufbauphase konnten dort vielerorts vermieden
werden, die historische Substanz wurde zum Ausgangspunkt und Leitbild
der urbanen Renovierung. Als besonders erfolgreich erwies sich hierbei
das Sonderprogramm "Städtebaulicher Denkmalschutz" im Rahmen
der Städtebauförderung. Gleichwohl kam es aber auch hier zu
Verwerfungen, weil durch die exzessive Nutzung der Sondersteuerabschreibungen
und eine großzügige Genehmigungspraxis selbst denkmalwerte
Bau- und Gartenanlagen sowie Objekte von archäologischem Interesse
erheblich beeinträchtigt oder gar zerstört wurden.
Siehe auch Empfehlung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz
: « Für Nachhaltigkeit und Baukultur », Leipzig, 27.10.2000
www.nationalkomitee.de
Denkmalschutz Informationen
1.3 Kurzfristige und mittelfristige Schwerpunkte
der Denkmalpolitik
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stehen Denkmalschutz und Denkmalpflege
in Deutschland vor neuen Herausforderungen, wie in den Siebzigerjahren
kündigt sich ein Paradigmenwechsel an. Im Gegensatz zum vorangegangenen
wird er aber nicht von interdisziplinär und auf unterschiedlichen
gesellschaftlichen Ebenen geführten Diskussionen vorbereitet und
begleitet. Die vermeintlichen und tatsächlichen Zwänge von Globalisierung
und Strukturwandel und der damit einhergehende Veränderungsdruck,
aber auch die schwierige Finanzsituation der öffentlichen Haushalte
sind die bestimmenden Faktoren.
Allzu oft sind Kosten und kurzfristige Einspareffekte, nicht aber kultureller
Wert und nachhaltige Wirkung die ausschlaggebenden Kriterien. Der politische
Wille zu "neuem Wachstum" und "schnellem Handeln"
fördert heute die Neubau- und Expansionsmentalität und schwächt
behutsame Erneuerungsstrategien. Dabei sind letztere nach wie vor gefragt,
insbesondere in Hinblick auf die in großer Zahl frei werdenden Bahnanlagen
und Kasernen, die großindustriellen Brachflächen vor allem
in den ostdeutschen Ländern, die Sanierungsnotwendigkeiten im Massenwohnungsbau
und angesichts der Überforderung vieler Glaubensgemeinschaften mit
ihrer Verantwortung für zu große und oftmals nicht mehr benötigte
Kirchen. Neue Gefahren erwachsen der historischen Bausubstanz besonders
in den neuen Ländern durch das Problem der "schrumpfenden
Stadt". Das Überangebot von Wohnungen bei zunehmender Abwanderung
ins Umland und insgesamt abnehmender Bevölkerung führen zu bedrohlichem
Leerstand in den Altstädten.
Denkmalschutz und Denkmalpflege jedoch scheinen ihre politische Lobby
verloren zu haben und auf das verbale Bekenntnis am Tag des offenen Denkmals
reduziert zu sein. Im Schatten der alles beherrschenden Schlagworte Deregulierung,
Investition und Innovation drohen Bewahren und Erhalten wieder als Inbegriffe
für Fortschrittsfeindlichkeit und Investitionshemmnis missbraucht
zu werden. Gesetzesnovellierungen zielen auf eine Senkung des erreichten
Standards ab, die Förderetats sind drastisch zurückgefahren
worden, Stellenpläne werden kontinuierlich gekürzt. Die Verantwortung
für das baukulturelle und archäologische Erbe ist in Gefahr,
immer weniger als staatlicher Kulturauftrag und zunehmend als private
Aufgabe der Zivilgesellschaft definiert zu werden.
Ziel von Denkmalschutz und Denkmalpflege ist es, Grundlagen und Rahmenbedingungen
zu erarbeiten, um gewachsene historische Strukturen zu erhalten, gegebenenfalls
mit neuer Architektur und Gestaltungselementen störungsfrei zu verknüpfen
und nachhaltige Perspektiven für die Orte gesellschaftlichen Lebens
und der gesellschaftlichen Identitätsfindung zu eröffnen. Die
Fachdisziplin muss die Grundlagen liefern und vermitteln. Eine breite
öffentliche Akzeptanz ist die Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit
von Denkmalschutz und Denkmalpflege. Der Staat schließlich muss
dafür die Rahmenbedingungen schaffen und garantieren.
Denkmalschutz und Denkmalpflege sind also auf allen Ebenen gefordert,
sie müssen nicht nur reagieren, sondern sich an dem sich abzeichnenden
Prozess aktiv beteiligen. Ihre Positionen im gesellschaftlichen Wertesystem
sind zu analysieren, gegebenenfalls neu zu definieren und zu konturieren.
Dafür ist es im Einzelnen notwendig,
Als Maßnahmen kommen dafür in Betracht:
1.4 Übernahme Europäischer Standards
1.4.1.1 Übereinkommen von Granada (3. Okt.
1985)
Das Übereinkommen zum Schutz des europäischen architektonischen Erbes (Granada, 3. Oktober 1985) wurde von Deutschland ratifiziert. Viele der Ziele dieses Übereinkommens haben die Denkmalschutzpolitik in Deutschland entscheidend mit beeinflusst.
1.4.1.2 Übereinkommen von La Valetta (16.
Jan. 1992)
Das Übereinkommen zum Schutz des archäologischen Erbes in Europa (La Valetta / Malta, 16. Januar 1992) wurde von Deutschland im Jahre 2003 ratifiziert.
1.4.1.3 Übereinkommen von Florenz (20.
Okt. 2000)
Deutschland hat das Europäische Kulturlandschafts-Übereinkommen (Florenz, 20. Oktober 2000) bisher nicht ratifiziert.
Viele Themen, die der CC-PAT seit 1975 bearbeitet hat, haben den Denkmalschutz in Deutschland entscheidend mit beeinflusst. Sie wären möglicherweise noch wirksamer geworden, wenn sie in allgemein ansprechender Form (z. B. im Informations-Bulletin des Europarates) veröffentlicht und mit Fallbeispielen und/oder kurzen Aufsätzen belegt worden wären. Abgesehen von der Idee des integrierten Denkmalschutzes ("integrated conservation"), dem Leitgedanken des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975, sind für Deutschland insbesondere folgende Schwerpunktthemen zu nennen:
Kampf gegen Umweltschäden an Denkmälern (88/5)
Dieses von Österreich, Deutschland und der Schweiz im Hinblick auf
die Ministerkonferenz in Granada im Oktober 1985 eingebrachte Thema (s.
Resolution Nr. 4 der Konferenz von Granada "on the physical conservation
of the architectural heritage and the need to combat pollution")
führte in Deutschland zu einem umfassenden Forschungsprogramm der
Bundesregierung. Das Projekt lief von 1985 bis 1998 und wurde mit 364
Mio. DM gefördert. Die Ergebnisse werden jetzt mit Hilfe von neu
eingerichteten Instituten in den Bundesländern für die Praxis
nutzbar gemacht.
Zu den Auswirkungen der Resolutionen des Europarates zu diesem Thema gehört das 1988 zwischen Deutschland und Frankreich vereinbarte bilaterale Forschungsvorhaben zum Steinzerfall und zur Erhaltung von umweltgeschädigten historischen Glasfenstern. Das Projekt lief von 1989 bis 1997, das Sekretariat hatte seinen Sitz in Champs sur Marne. Die Finanzierung teilten sich Deutschland und Frankreich.
Handwerk in der Denkmalpflege (81/3 und 86/15)
Die Sensibilisierung für die Notwendigkeit und den Wert traditioneller Handwerkstechniken und berufe bei der Erhaltung des baulichen Erbes und die damit verbundene, dringend erforderliche Fortbildung für Handwerker sind erstmals in einem Europarat-Symposium in Fulda 1980 und einer Anschlussveranstaltung in Würzburg 1984 ausführlich diskutiert und auf eine breitere Grundlage gestellt worden.
Für Deutschland hatten diese Symposien und die dort verabschiedeten
Empfehlungen entscheidende Bedeutung:
1980 wurde noch während des Symposiums in Fulda das heutige "Deutsche
Zentrum für Handwerk und Denkmalpflege Propstei Johannesberg Fulda"
nach dem Vorbild von San Servolo/Venedig gegründet. Fulda war das
erste Fortbildungszentrum dieser Art in Deutschland, es folgten
insbesondere nach der Wiedervereinigung 1990 ähnliche Einrichtungen
auch in den östlichen Bundesländern.
Die Handwerksverbände, allen voran auch der Zentralverband des Deutschen
Handwerks, sieht heute Arbeiten in der Denkmalpflege als wichtige und
auch ökonomisch lohnende Aufgabe an. Daher bieten die Handwerkskammern
in den Bundesländern verstärkt Fortbildungskurse in der Denkmalpflege
an. Diese Fortbildung wird unterstützt von Fachleuten aus der Denkmalpflege.
Erhaltung von Bauten der Technik und Industrie (90/20)
Erhaltung des baulichen Erbes des 20. Jahrhunderts (91/13)
Zu diesem wichtigen, allein in Hinblick auf Größe und Lage
(Industrieerbe) sowie aufgrund des bisweilen spröden Charmes (bauliches
Erbe des 20. Jahrhunderts) oft schwer vermittelbaren Denkmalbestand sind
die Empfehlungen des Europarates hilfreich gewesen. Sie haben die Sensibilisierungsbemühungen
für diese Bereiche in Deutschland unterstützt. Die Praxis zeigt
allerdings, dass hier noch viel zu tun bleibt, damit sich die Gefährdungen
dieser Denkmäler reduzieren.
Das "Jahr der Industriekultur 2000" war Deutschlands offizieller
Beitrag zur Europaratkampagne "Europa, ein gemeinsames Erbe".
Außer dem Land Nordrhein-Westfalen, dessen Programm besonders reichhaltig
war, beteiligten sich an diesem Programm die Länder Berlin, Brandenburg,
Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Fortbildung von Architekten, Stadtplanern ... (80/16)
Erhaltung von Stadträumen ... (86/11)
Stadtarchäologie/ Archäologie und Landesplanung (89/5)
Die diesen Empfehlungen zugrunde liegenden Probleme sind nach wie vor
aktuell, haben sich sogar z. T. dadurch verschärft, dass die Planungen
der öffentlichen Hände heute weitgehend von Investoren ersetzt
werden. Das bedeutet, dass hier nach neuen Wegen gesucht werden müsste,
damit die historische Stadtgestalt trotz des wachsenden wirtschaftlichen
Drucks auch künftig erhalten und erlebbar bleibt. Dies wäre
ein wichtiges Schwerpunktthema für die Arbeit des Europarates, denn
vielfach ähnelt die Situation heute wieder derjenigen, die zum Europäischen
Denkmalschutzjahr 1975 geführt hatte.
In Deutschland gingen die Aktivitäten von der Konferenz in Granada
1977 aus. Damals begann eine umfassende Kampagne zur Sensibilisierung
und zur Entwicklung von speziellen Methoden der Erfassung des baulichen
Erbes und der Planung im ländlichen Raum sowie spezielle staatliche
Förderprogramme. Höhepunkt der Kampagne war eine Tagung unter
der Schirmherrschaft des Europarates und in Zusammenarbeit mit Frankreich/Elsaß
und der Schweiz in Baden-Württemberg (Merdingen) 1988 unter dem Motto
"Das Dorf im Wandel - Denkmalpflege im ländlichen Raum".
Die Erklärungen und Resolutionen der 4. Europarat-Ministerkonferenz
in Helsinki (31. Mai 1996) haben in Deutschland mit dazu beigetragen,
die interdisziplinäre Diskussion über den Beitrag von Denkmalschutz
und Denkmalpflege zu Ressourcenschonung, nachhaltiger Entwicklung, Wirtschaftsförderung
und Tourismusförderung zu intensivieren und diesen Beitrag auch öffentlich
zu machen. Ein wesentlicher Baustein war hierbei der internationale Kongress
"Denkmalpflege und Beschäftigung", den die Bundesregierung,
das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz und die Europäische
Union im Rahmen der Deutschen EU-Präsidentschaft im April 1999 in
Berlin durchführten.
Die Entschließungen der 5. Europarat-Ministerkonferenz vom 05.
07. April 2001 in Portoro
beeinflussen die Denkmalpolitik in Deutschland nicht nur hinsichtlich
der bereits in den Empfehlungen von Helsinki genannten Themen, sondern
auch hinsichtlich der Stärkung bürgerschaftlichen Engagements
und der Teilnahme am Projekt HEREIN.
Lit.: | Denkmalpflege und Beschäftigung, Band 62 der Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz 2000, 207 Seiten, Deutsch/Englisch/Französisch, ISSN 0723-5747 |